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The neck of my Guitar
Brücke über unruhigen Wassern 23.10.2003 Süddeutsche Zeitung
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Brücke über unruhigen Wassern

Zusammengezankt: Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren sind Simon & Garfunkel wieder auf Tournee



Kurz vor Beginn ihrer ersten gemeinsamen Konzerttournee seit zwanzig Jahren, traten Paul Simon und Art Garfunkel kürzlich in der Talkshow von David Letterman auf, um dort zwei ihrer Klassiker zu singen. Etwas zerzaust sahen sie aus - der gedrungene Paul Simon mit dem ewig gequälten Gesichtsausdruck und der entrückt muntere Art Garfunkel, dem die Locken inzwischen schier senkrecht um die hohe Stirn herumwachsen. Schüchtern blinzelten sie in die Kameras, als sei es ihnen immer noch so unangenehm vor großem Publikum aufzutreten, wie damals vor fast schon vierzig Jahren, als sie der Erfolg von ´Sounds of Silence´ überraschte. Doch dann sangen sie ´America´ und ´The Boxer´. Das saß, denn jenes Heimweh nach einer Heimat, die es nie gegeben hat, das sie da besangen, hatte als Allegorie auf die immerwährende Aufbruchsstimmung der neuen Welt seit jeher seinen festen Platz in der Mythenwelt Amerikas.


Genau solche archetypischen Mythenspiele waren schon immer die Stärke von Paul Simons Texten. Doch da waren auch wieder diese schwebenden Harmonien, die seiner Soloarbeit gefehlt haben und mit denen Simon & Garfunkel von der ersten Zeile an jene Melancholie erzeugen, die jedem Zuhörer das Gefühl gibt, dass sie den Song nur für ihn alleine singen. Da war es egal, dass die Stimmen matter geworden sind oder auch mal ein Einsatz schleift. Das Studiopublikum dankte es den beiden mit frenetischem Applaus, der durch kein Leuchtsignal aus der Regie zu bändigen war. Selbst der Berufszyniker David Letterman schien feuchte Augen zu bekommen.


Am letzten Donnerstag hat die Tournee nun begonnen. In der verschlafenen Provinzstadt Wilkes-Barre, zwei Stunden nördlich von Philadelphia, gaben Simon & Garfunkel in der mit achttausend Sitzplätzen vergleichsweise kleinen Wachovia Arena ihr erstes Konzert. Am Wochenende spielten sie in der Suburbia von Detroit vor jeweils 16.000 Zuschauern zwei ausverkaufte Abende im Palace at Auburn Hills. In beiden Städten reagierten die Zuschauer wie erwartet überschwänglich begeistert. Jedes einzelne der 23 Stücke wurde die ersten Takte lang vom Jubel und Applaus übertönt. Dann wurde es meist still. Der überwiegende Teil des Publikums rekrutierte sich dann doch aus den Fans von damals. Die wollen zuhören und sitzen.


Denn für Amerikaner, die in der zweiten Hälfte der 60er Jahre jung waren, ist ein Simon & Garfunkel-Konzert keine nostalgische Party. Für sie waren das die Dichter der Rockära, die einer ganzen Generation aus der Seele sprach. Das war kein befreiender Gewaltakt der Befreiung. Simon & Garfunkel schrieben den Soundtrack für den Aufstieg der amerikanischen Bildungsbürgergesellschaft. Ihre Wurzeln lagen in den Selbstzweifeln jener bürgerlichen Collegewelt, die sich im Amerika der 60er Jahre aufgemacht hatte, ein humanistisches Wertesystem in der Gesellschaft zu verankern, und so waren sie die Speerspitze eines neuen, liberalen Status Quo. Mit Simon & Garfunkel wurden keine Barrikaden gestürmt.


Im Gegenteil. Paul Simons Texte hätten in jedem Literaturseminar bestehen können. Ihr Harmoniegesang säkularisierte die spartanische Inbrunst protestantischer Kirchenlieder. Mit ihren Folk-Arrangements nahmen sie der Popkultur auf dem Höhepunkt der Rock-Ära die sexuell überhitzte Bedrohlichkeit. Sie markierten die Schwelle vom Kampf zum großen Ruck durch die Gesellschaft. Weil Simon & Garfunkel aber ausgerechnet in diesem Moment aufhörten, gemeinsam zu singen, hat ihre Musik die Hochstimmung von damals für eine ganze Generation bis heute in der kollektiven Psyche verankert.


Die übrigen knapp vierzig Konzerte werden Simon & Garfunkel bis kurz vor Weihnachten in den für Tourneen von diesem Format üblichen Hallen und Stadien mit Kapazitäten von zwanzig- bis vierzigtausend Plätzen absolvieren. Denn ein so sensationelles Ereignis wie die Wiedervereinigung von Paul Simon und Art Garfunkel ist nicht zuletzt ein großes Geschäft. Schließlich sind Livetourneen einer der letzten profitablen Zweige der von Internetpiraterie und Großkonzernen geplagten Musikbranche. Was eine Stadiontournee einbringt, kann man allwöchentlich an der ´Top Concerts´-Hitliste des Branchenblattes Billboard sehen. Da hält die Dave Matthews Band mit einem Konzert im Bundesstaat Washington, bei dem sie einen Umsatz von über zwei Millionen Dollar gemacht hat, für diese Saison den Spitzenplatz vor Metallica, Phish und Fleetwood Mac, die ebenfalls mit Einzelkonzerten eineinhalb bis zwei Millionen Dollar einspielten. Zuzüglich der Einkünfte aus Souvenir- und Imbissverkäufen.


Ein besonders lukrativer Anteil des Konzertgeschäftes sind dabei die Wiedervereinigungstourneen. Denn nichts verkauft so viele Karten wie eine Band, die sich eigentlich schon getrennt hatte. Fleetwood Mac, die Eagles und Duran Duran haben sich mit solchen Tourneen gesund gestoßen. In kleineren Hallen sind seit zwei, drei Jahren sogar Gruppen unterwegs, die mit den ursprünglichen Formationen nicht einen einzigen Musiker der Originalbesetzung gemein haben. Steppenwolf zum Beispiel, die Byrds oder die Temptations. Und trotz Unterlassungsklagen tourte vergangenen Sommer eine Neuauflage der Doors, für die Keyboarder Ray Manzarek und Gitarristen Robbie Krieger, den ehemaligen Cult-Sänger Ian Astbury anheuerten, Jim Morrison zu imitieren.


Nachdem eine Neuauflage der Beatles unmöglich geworden ist, bildet die Tournee von Simon & Garfunkel den unumstrittenen Gipfel dieser Wiedervereinigungswelle. Der große Vorteil bei Gruppen, die seit ihrer einstmals großen Zeit nicht mehr zusammen gespielt haben - das Publikum muss sich nicht durch die mittelmäßige Spätwerke quälen. Bei ihren aktuellen Konzerten haben Simon & Garfunkel auch ausnahmslos die alten Hits gespielt. Nicht einmal ihre Solowerke gaben sie zum Besten. Angesichts dessen, war ihre Altersgenossen in den letzten Jahren so auf den Markt brachten, muss man ihnen dafür dankbar sein.


Art Garfunkel wäre seit ihrer Trennung allerdings gerne noch einmal mit Paul Simon ins Studio gegangen. Aber dieses Thema liegt genau über der tektonischen Störungszone, die die beiden alten Jugendfreunde schon 1970 auf zwei entgegengesetzte Karrierebahnen schleuderte. Art Garfunkel sollte jedenfalls keine zu großen Hoffnungen hegen, dass die Tournee dieses Jahr ein neues Kapitel in ihrer gemeinsamen Karriere einläuten könnte. Bei einem Gespräch in seiner Wohnung erklärte Paul Simon den Bruch von damals: ´Wir hätten ´šBridge Over Troubled Water´˜ nie übertreffen können. Was auch immer wir danach getan hätten, wäre eine Enttäuschung gewesen.´ Auf die Frage, ob sie denn nicht doch noch einmal ein Studioalbum aufnehmen würden, sagte Art Garfunkel zwar: ´Das ist durchaus möglich.´ Simon pflichtete sogar bei: ´Jaja, schon möglich.´ Aber dann kehrte Art Garfunkel wieder auf den Boden der Tatsachen zurück: ´Möglich. Aber nicht sehr wahrscheinlich.´


ANDRIAN KREYE






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